Karl Wessels: Der Kletterpoth ein vestisches Naturdenkmal

Karl Wessels +
Der Kletterpoth ein vestisches Naturdenkmal

Der Kletterpoth bei Kirchhellen ist ein Hochmoor. Es erzählt uns aus der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte unserer Heimat. Damit ist sein wissenschaftlicher Wert erwiesen. Außerdem birgt es in seinem Rahmen verschwiegene Schönheiten der einsamen Heide. Darum hat es eine ästhetische Bedeutung. Bei der Einschätzung des Kletterpoths dürfen wir also nicht den wirtschaftlichen Wertmesser anlegen. Wir würden nicht auf unsere Kosten kommen und unserem Kletterpoth bestimmt zu kurz tun.

Wer aber ernstlich gewillt ist, einige Stunden der Heimatforschung zu erleben oder sich an der stillen Schönheit des Moores zu erfreuen, der braucht den weiten Weg zum Kletterpoth nicht zu scheuen. Er schaut in ihm ein vergessenes Hochmoor, das in seinem Charakter den großen Mooren Niedersachsens gleicht.

Betrachte und genieße die Stille des Kletterpoths, schaue hin auf das sommerliche Werden, Wachsen und Vergehen seiner Torfmoose, auf das hochsommerliche Blühen seiner Blumenkinder, und du wirst der so oft verkannten Schönheiten bald inne werden. Dann wirst du erfahren, warum der Kletterpoth ein Naturschutzgebiet werden musste.

Über die Entstehung des Hochmoores ist folgendes zu sagen:

Dein Baumeister ist Torfmoos. Ein merkwürdiges Pflänzchen, merkwürdig in der Lebensweise, merkwürdig in seinem Aufbau. Mit Hunderttausenden seinesgleichen ist es an der Arbeit. Seit undenklichen Zeiten schon. Ein Vergehen und Werden. Unter dem Wasser stirbt es ab und bildet den Torf. Schicht auf Schicht. Ganz unten lagern die schwarzen, darüber die braunen und noch höher die hellen Schichten. Der Sauerstoff kann nicht durchdringen. Darum ist eine Verwesung unmöglich. So erfolgt die Torfbildung. An der Oberfläche aber wächst dasselbe Torfmoos zu neuem Leben und treibt neue Triebe. Es wächst und wächst und mit ihm das ganze Moor, alljährlich aber nur um etwa 10 Millimeter. Doch in Jahrhunderten vermag es über eine Umgebung hinauszuwachsen. Bemerkt sein, dass die Vermehrung in geringem Maße auch durch Sporen erfolgt.

Das Wachstum gibt also dem Hochmoor seinen Namen. Doch geben wir Acht. Gleich wird uns der Name noch verständlicher werden. Zur Regenzeit nämlich. Dann füllt das Torfmoos seine Wasserzellen und hebt sich höher, immer höher, kuppelförmig. Doch satt wird es nimmer. Obwohl es fast das Zwanzigfache seines Eigengewichts an Flüssigkeit in sich aufzunehmen vermag, ist es allzeit hungrig und durstig; denn das Moorwasser ist bitterarm an Nahrung. Auf 100 000 seine Teile kommen nur zwei Teile Mineralien.

Armes Hochmoor! Hast du denn gar keine anderen Quellen, aus denen du Nahrung nehmen kannst? Da hat es deine Verwandte, das Wiesen- oder Niederungsmoor, doch besser. Es lässt sich vom Wiesenbach bedienen und Nahrung zuführen. Darum ist seine Vegetation eine reichere. Allein das Torfmoor fehlt. Es ist hier überflüssig. Das Wiesenmoor braucht keinen Wasserspeicher.

Das Hochmoor ist von jeder Quelle, von aller Welt abgeschlossen. Selbst unterirdisch hat es keinen Zugang, keinen Ausweg. Eine undurchlässige Erdschicht verhindert jede Bewegung des Wassers. Das ist gut so. Ware es anders, könnte das Wasser abfließen, dann würde das Torfmoos und mit ihm das Hochmoor seine Lebensfähigkeit verlieren. So aber kann das Moor 10 000 Jahre alt und älter werden. Wie jedes Hochmoor, so trägt auch unser Kletterpoth den Namen Naturdenkmal mit vollem Recht. Auch die anderen Pflanzen, die in Gemeinschaft mit dem Torfmoos leben, werden das bestätigen. Fragen wir zunächst die Glockenheide, Erica tetralix. - Mit dem Namen Erica bezeichnet man fälschlich das gemeine Heidekraut. Und doch ist eine Verwechselung kaum möglich. Dem schönsten Blümchen der schönste Name, dann trifft man immer das Richtige. - Die Erikaheide ist in pflanzengeographischer Hinsicht bemerkenswert. Sie gehört nämlich zur atlantischen Flora. Darunter verstehen wir jene Pflanzen, deren Fortkommen vom ozeanischen Klima abhängig ist. Auf ihrer Wanderung nach neuen Siedlungspflanzen kommen sie über eine bestimmte Ostgrenze nicht hinaus. Zur Atlantischen Flora rechnet sich auch der englische Ginster, ein kleiner Stachelmann unter den Schmetterlingsblütern, die in moorigen Gräben wachsende und goldgelbblühende Moorlilie, eine Verwandte unserer Gartenlilie, endlich auch die Hülse. Diese immergrüne Pflanze können wir aus unserer Heimat gar nicht wegdenken. Hat sie doch so vielen Familien und Flure den Namen gegeben. Im Osten unseres Vaterlandes suchen wir sie vergebens. Darum werden dort auch keine Namen in der Verbindung mit "Hüls" vorkommen, wenigstens nicht ursprünglich sein.

Eine andere merkwürdige Pflanzengesellschaft der Kletterpoths sind die Vertreter oder Zeugen der letzten Vereisung, kurzweg glaciale Pflanzen genannt. Zu Beginn der Eiszeit mussten sie vor den Nordlandgletschern Reißaus nehmen. Erst im deutschen Mittelgebirge kamen sie zur Ruhe. Doch nicht für immer. denn kaum war das Eis verschwunden, trieben Heimweh und Wanderlust sie wieder nach dem kalten Norden. Einige Wandermüde aber blieben zurück. Sie fanden in unseren Mooren zusagende Lebensbedingungen, siedelten sich an und blieben sesshaft. Ihre Nachkommen bewohnen unsern Kletterpoth. Da ist z.B. die Moosbeere. Leichten Fußes schwingt sie sich über das Torfmoos hinweg, rankt und klammert sich fest, steigt und wächst mit dem Moospolster. Im Sommer trägt das Pflänzchen rote Blüten und im Herbst blassrote Beeren. Eine treue Begleiterin der Moosbeere ist der wilde Rosmarin, auch Moorglöckchen und Lavendelheide genannt. Ihre Blütenglöckchen sind zart. Man wagt sie nicht anzufassen. Ihr Glockenlied klingt leis aus düsterem Moor. Ein Heidesänger hat´s gehört und nachgesungen, das Lied von Rosmarin und Heide. Unweit des Schutzgebietes wächst die Hiesbeere. Größer als die beiden anderen Vertreter der Waldbeerengattung, trägt sie schwarze Beeren, die im Inneren weiß sind und nicht färben. Mit ihren beiden Verwandten, der Blau- und Preiselbeere, gehört auch sie der glacialen Flora an.

Die merkwürdigste Pflanze am Kletterpoth ist ohne Zweifel der Sonnentau. Er begnügt sich nicht mit der geringen Kosten des Moorwassers, sondern vergreift sich an lebendigen Tieren, an Mücken, Fliegen und kleinen Libellen. Der Sonnentau ist nämlich ein echter Fleischfresser unter den Pflanzen. Seine schleimbedeckten Blätter halten den ahnungslosen Gast, der von dem glänzenden "Tau" glaubte naschen zu können, fest. Die "Tentakeln" umschließen fingerartig das Tierlein. Ein Entweichen ist unmöglich. Langsam beginnt die Verdauung.

Der Kletterpoth ist reich an Schönheiten, die mit schlichten Worten kaum zu malen sind. Vom immergrünen Rosmarin und von der Glockenheide, den Läuteglöckchen unseres Moores, war eben schon die Rede.

Doch seht! Dort leuchtet aus schwarzem Wasser das Blütenweis der Seerose. Durch die Mittagssonne gleiten Wasserjungfern in schimmernder Pracht. Und hört! Die Heidelerche singt. Vorsicht! Am Wegrande züngelt die Kreuzotter, die gefährliche Hüterin des Kletterpoth. Dort steckt das Vollgras seine Lampen an, die mit wollweißem Licht das dunkle Moor ableuchten.

Das große Leuchten und tiefe Glühen beginnt aber erst im Spätsommer. Dann flutet die Heide in verschwenderischer Pracht, ihre Gäste zu ehren und zu nähren. Tausende von fleißigen Bienen kehren bei ihr ein.

Um die Zeit der Heideblüte sichten wir auch den wunderschönen Enzian. Er ist allerdings selten, sehr selten, sehr selten geworden.

Das Moor in Blüte! Wir schauen dem Blühen zu, wagen aber nicht; unsern Fuß weiterzusetzen; denn

"Unter jedem Schritte ein Quellchen springt,
wenn aus der Spalte es zischt und singt." -

Doch der natürliche Schutz genügte nicht mehr. Der Kletterpoth stand in Gefahr, vernichtet zu werden. Selbst zum Freibad hatte man ihn auserkoren. Der Stacheldraht, den der Förster hineinwerfen ließ, hielt die Badegäste nicht zurück. Auch die Kreuzotterngefahr schreckte nicht.

Darum musste die Polizeiverordnung kommen. Sie datiert vom 8. Oktober 1926 und erklärt den Kletterpoth zum Naturschutzgebiet. Nach dem Paragraphen 2 der Verordnung ist jegliches Betreten verboten. Der Kletterpoth soll sich erholen. Das kann er nur, wenn ihn keines Menschen Fuß mehr belästigt, wenn ihn kein Wanderer stört. Darum das harte Verbot.

Wer nun die Heide besucht, kann auch den Kletterpoth sehen. Es führt nämlich ein öffentlicher Wer an dem Schutzgebiet vorbei. Von hier aus lässt sich das Gelände gut überschauen.

Nun noch einige Angaben über die Lage und Größe des Naturschutzgebietes. Es liegt eine Viertelstunde westlich von Kirchhellen, jenseits der alten Poststraße, zwischen dem Schwarzen Bache und der Schwarzen Heide.

Diese Heide hat in den Nachkriegsjahren rund 1500 Morgen an die Kultur abgegeben. Das Schutzgebiet hat eine Größe von 150 Morgen. 135 Morgen entfallen auf den sogenannten Schutzgürtel, bleiben noch 15 Morgen für den Kletterpoth.

Unsere botanische Streife ist beendet. Mögen sich die Pflanzen im Kletterpoth noch lange des Schutzes erfreuen. Auch die Tiere des Moores - Wildente und Brachvogel, Kröte und Kreuzotter - können ihrer Heimat wieder froh werden. Bienen und Hummeln summen Lieder vor Freude über den gelungenen Schutz. Vielleicht findet sich auch wieder das sagenhafte Hedmännken ein, dann wäre deine Freude voll. Der Feuerwachtturm soll schön achtgeben und Meldung machen, wenn Hedmännken kommt. Dann muss unsere Jugend zum Empfange bereit sein.  

Dieser Artikel erschien 1949 im Buch "Mein Vestisch Land" von Eugen Vetter. Zu diesem Zeitpunkt war Karl Wessels bereits 19 Jahre tot.


letzte Änderung: 04.06.2020 Impressum - Datenschutz